NHL Observer

Joe Thornton, ein Superstar ohne Stanley-Cup-Ring, aber hochdekoriert mit vielen Lorbeeren und Erfolgen. Eine Würdigung.

Joe Thornton wird wohl in die NHL-Geschichte eingehen als einer der erfolgreichsten Spieler ohne Stanley-Cup-Ring am Finger. Einzelauszeichnungen und internationale Titel hat er zuhauf gesammelt. Nun folgt eine neue Karriere als Co-General Manager beim Team Canada am Spengler Cup. Dieses Turnier gewann er auch bereits schon mal. Damals jedoch im Dress des HC Davos!

Und dieser Joe Thornton beendete letzte Woche offiziell seine Karriere als Eishockey-Profi. Und kehrt dahin zurück, wo er seine zweite Heimat gefunden hat: Nach Davos – als GM von Team Canada beim Spengler Cup 2023. Es ist ein Home-Coming für Jumbo Joe, der 2004 beim HC Davos eine Saison absolvierte. Hier erlebte er während der NHL-Lockout-Saison nicht nur sportlich für ihn prägende Monate. Als er in Davos war, lernte er nämlich auch seine spätere Ehefrau Tabea kennen, die ihm zwei Kinder schenkte. Mit dem HCD wurde er Schweizer Meister und Spengler-Cup-Sieger. In der Schweiz geniesst Joe Thornton seit 2004 Kultstatus.
In Nordamerika wird er indessen an seinen hiesigen Rekorden und Einzelauszeichnungen gemessen. Mit Team Canada gewann er zwei Mal den World Cup of Hockey und wurde Olympiasieger 2006. Aber als Stanley-Cup-Sieger konnte er sich nie feiern lassen. Einmal durfte er gewissermassen daran riechen, als er mit den San José Sharks 2016 bis in den Stanley-Cup-Final vorstiess, aber an den Pittsburgh Penguins und Sid Crosby scheiterte. Eine Saison später schrieb er mit seinem 1’000. Assist NHL-Geschichte, als es ihm als erst 13. Spieler gelang, diese Marke zu übertreffen.

Coole Persönlichkeit

Was bleibt haften, wenn man den Namen Joe Thornton hört? In erster Linie seine sehr umgängliche und sympathische Art, wie der Autor dieser Zeilen aus eigener Erfahrung berichten darf. Unvergessen in Erinnerung blieb mir das Interview 2004 in der Schweiz auf dem Jakobshorn (siehe Foto), wo man erstmals in Europa viel über ihn als Person erfahren durfte.

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Das Slapshot-Cover der Ausgabe von September 2004.
Joël Ch. Wuethrich / Slapshot

Es war sein erster grosser Medienauftritt in unseren Breitengraden. In Erinnerung blieb mir auch das Telefonat mit Arno Del Curto mitten in der Nacht direkt aus dem Locker Room der Boston Bruins nach einer Partie gegen die Montréal Canadiens, als ich dem NHL-Star das Handy weiterreichte. Die anderen Spieler und der PR-Staff der Bruins waren sich sowas nicht gewohnt, haben ganz schön gestaunt und waren sichtlich amüsiert. Joe Thornton konnte aber auch wütend sein, wie nach einem Spielausschluss während einer hitzigen Partie beim SC Bern. In den Katakomben liess er schon während der Partie seiner Wut ob der „Weichei-Spielauslegung“ einiger Schiedsrichter freien Lauf. Aber alles in allem waren auch dies nur kleine Ausraster. Jumbo Joe galt immer als fairer Sportsmann.

Der begnadete, sympathische Zuspieler

Dann natürlich prägen die sportlichen Meilensteine und Erfolge sein Markenbild: Mehrere Einzeltrophäen hat der mittlerweile 44-Jährige in Empfang nehmen dürfen und Erfolge gefeiert mit Team Canada (Olympia-Gold 2006, zwei World Cup of Hockey-Siege) und beim HC Davos (Meisterschaft, Spengler Cup 2004/05). Seine Fähigkeit, Spieler besser zu machen und vor allem seine Mitspieler in Schussposition zu bringen ist legendär. Er war ein begnadeter Zuspieler und fand genauso Gefallen an der Vollstreckung einer seiner Vorlagen wie bei einem eigenen Torerfolg. Wenn nicht schon vorher die Zone hinter dem Tor im Fachjargon als „Gretzkys Office“ bezeichnet worden wäre, dann hiesse diese heute wohl „Jumbo Joe's Place“ oder so ähnlich. „Ich bin dankbar dafür, dass ich während meiner ganzen Karriere mit Spielern agieren durfte, die wissen, wie man Tore schiesst“, sagte er gerne. Und, dass er „das Glück hatte, seine Stärken ausspielen aber auch gesund bleiben zu dürfen, um die vielen Partien absolvieren zu können“.

Viel Lob und heftige Kritik

Joe Thornton, der sowohl als Center wie auch als Flügelspieler immer ein Playmaker blieb, hatte und hat es trotz aller Lobeshymnen jedoch nicht immer leicht in seiner Karriere: Unvergessen sind die Playoffs 2004, als er nach sechs Partien gegen Montréal mit den favorisierten Boston Bruins ausschied und dabei als Topskorer seines Teams keinen einzigen Playoff-Skorerpunkt ergatterte. Die Kritik war unbarmherzig. Später wurde publik, dass er die ganze Zeit mit angebrochenen Rippen spielte, die Mannschaft aber nicht im Stich lassen wollte. Und immer wieder wurde er auch als „Playoff-Loser“ bezeichnet, weil er in den Playoffs in entscheidenden Momenten nicht die Bestleistung abrufen konnte und keinen Stanley-Cup-Sieg feiern konnte. Dies, obwohl die Boston Bruins und später die San José Sharks oft zum Favoritenkreis gehörten. Dieser Makel wurde im Frühling 2016 mit der Teilnahme an den Stanley-Cup-Finals und starken Playoff-Leistungen zumindest etwas beseitigt.

„Against all odds“

Und wer könnte das unsägliche und respektlose Schauspiel vergessen, welches der ehemalige Sharks-General Manager Doug Wilson 2014/15 bezüglich der Absetzung von Joe Thornton als Captain initiierte? Im Sommer 2014 entschied Wilson, dass ein Wechsel nötig und Thornton nicht mehr der richtige Kapitän für die Mannschaft sei. Die Last dieses Amtes sei nunmehr zu viel für ihn, sagte der General Manager in einem Event, bei welchem 350 Dauerkartenbesitzer und Sponsoren eingeladen waren. Die Reaktion von Jumbo Joe fiel zunächst heftig aus: „Doug sollte auf den Mund sitzen und besser nichts mehr dazu sagen“, wurde er zitiert. Aber er zeigte Grösse und auch diese Episode konnte Jumbo Joe und seinem Image nichts anhaben, da er mit Würde und Leistung die Situation meisterte: Er unterstützte den neuen Captain Joe Pavelski bei seinem neuen Amt aktiv und innerhalb des Teams wurde Thornton nach wie vor als Captain anerkannt.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.