Das Ambrì-Fieber und seine Nebenwirkungen

Im Sport ist eine oft gehörte Aussage: „Die Tabelle lügt nie.“ Die Statistik ist, wenn man will, so drehbar, dass sie passt. Schaut man sie neutral an, muss man feststellen, dass sie nicht immer einen Rückschluss auf die Verfassung einer Mannschaft zulässt. Ein Paradebeispiel sind die oft diskutierten – oft überstrapazierten – Statistiken über die "Special Teams", sprich die Powerplay- bzw. Penalty-Killing-Leistung eines Teams. Dies wird klar, wenn man erstens die Statistiken der Special-Teams genauer analysiert und sie insbesondere mit jener bei einer „Even“-Anzahl-Spielern auf dem Eis vergleicht.

Von Fabiano Wey

{sitelinkxoff}Die Effizienz im Powerplay errechnet sich über die geschossenen Tore bei Anzahl Powerplay-Möglichkeiten. Liegt die Quote bei oder über der 20%-Grenze ist es ein gutes bis sehr gutes Powerplay. Dies ist meine Meinung. Der Ligaschnitt ist momentan bei 18.3%. Über viele, viele Runden war der HC Ambrì-Piotta das schlechteste Team der gesamten Liga im PP. Die Mannschaft befand sich in einer tiefen, tiefen Krise. Anstatt den Head-Coach, wechselten die Leventiner den Assistenztrainer aus. Etwas das man ganz, ganz selten sieht. Dimitri Tsygurov ersetzte Diego Scandella an der Seite von Hans Kossmann. Mit ihm wurde auch das Powerplay der Leventiner massiv besser. Vorher chronisch ineffizient, hat sich Ambrì in den Ligaschnitt gearbeitet. In der Tabelle liegt man aber immer noch am Ende und an die Playoffs mag man als Fan nicht mehr so recht glauben. Dies obwohl sich auch das Boxplay stark verbessert hat. Mit einer Penalty-Killing-Quote von über 82.1% liegt man in dieser Statistik auf Rang 6 der ganzen Liga und damit über dem Ligaschnitt, der bei 81.7% liegt. An den Special Teams kann es also nicht liegen, dass Ambrì-Piotta nicht vom hinteren Tabellenfeld wegkommt. Dazu bekommt der HCAP die wenigsten Strafminuten der ganzen Liga. Im 39 Spielen waren es nur 360 Minuten. Der Ligaschnitt liegt bei 451. Allerdings spielt kein anderer Klub weniger Powerplay als die Leventiner. Es sind keine fünf Minuten pro Spiel.

Interessant ist, dass in dieser Statistik auf Platz 11 die ZSC Lions platziert sind. Und noch interessanter ist, dass kein Team mehr Strafen provoziert als der HC Fribourg-Gottéron. In der Effizienz befinden sich die Drachen auf Rang 11, die SCL Tigers auf 6 über dem Schnitt, wie man in der unteren Grafik erkennen kann. Dahinter sind die ZSC Lions und der EV Zug platziert. Die Quintessenz der Analyse der Statistiken der Special-Teams: Ein gutes/schlechtes Powerplay hat nicht zwingend Einfluss auf die Platzierung in der Tabelle. Um dieses Thema abzuschliessen: Das momentan beste Powerplay der Liga hat der Lausanne HC. Er profitiert sicherlich davon und kann bereits die Playoffs planen.

Die hinterste Spalte repräsentiert die aktuelle Tabelle. So sind bspw. die vermeintlichen Playout-Teams SCL Tigers und Ambrì-Piotta im Powerplay knapp über bzw. unter dem Ligaschnitt platziert.. (Bild: Ausschnitt von www.sihf.ch per 15.1.2017)

Die Unterzahl-/Überzahlsituation haben also nicht die enorme Wichtigkeit, wie viele immer denken oder gar behaupten, was der Vergleich mit der aktuellen Tabelle aufzeigt. Es sind die Aktionen bei 5gegen5, die viel mehr Aussage zum aktuellen Leistungsgefüge beitragen. Klar, man kann nun das Argument bringen, dass auch mehr bei Gleichzahl gespielt wird. Aber gleichzeitig wird auch die Schwierigkeit erhöht, den Gegner auszuspielen und es zeigt sich deutlich, welches Team ein ausgewogener Kader besitzt und ein gutes Spielsystem verinnerlicht hat. Matchentscheidend ist, wie gut ein Team sich auf das System des jeweiligen Gegners einstellen oder ihm gar sein eigenes System aufzwingen kann.

Damit sind wir tief in der Analyse der Statistik bei Gleichbestand auf dem Eis. Wer schafft es, den Gegner bei gleicher Ausgangslage zu dominieren? Dort wird das Bild dann klar. Die drei momentan mit Abstand besten Teams der Liga, Bern, ZSC und Zug, liegen auch weit über dem Ligaschnitt der geschossenen Tore bei 5vs5. Dies schaffen nur noch Biel und Kloten. Lausanne hat sich mit dem klaren Sieg gegen den ZSC am Samstag neu über den Ligaschnitt geschossen. Fribourg (10.), Ambrì (11.) und die SCL Tigers (12.) sind auch in der Gesamttabelle auf diesen Plätzen zu finden. Ähnlich präsentiert sich das Bild bei den erhaltenen Toren. Wiederum belegen die drei Top-Teams die Ränge 1, 2 und 4. Ambri ist auf Rang 10, was wieder (in etwa) durch die Tabelle wiederspiegelt wird. Klares Schlusslicht in dieser Statistik ist der HC Lugano, der knapp über dem Strich liegt. Die Südtessiner sind die einzigen, die bei Gleichbestand bereits über 100 Tore kassiert haben.

In der hintersten Spalte erneut der Vergleich mit der aktuellen Tabelle. Sie stimmt ziemlich gut mit der Statistik der geschossenen Goals bei Gleichzahl überein. Einzig der EHC Kloten ist der Ausreisser nach oben. (Bild: Ausschnitt von www.sihf.ch per 15.1.2017)

Die Erkenntnis, dass die Statistik der Special-Teams nicht unbedingt die Tabelle wiederspiegelt, zeigt sich auch in der Betrachtung vergangener Saisons. Es gibt natürlich auch Beispiele, dass die Mannschaft mit dem besten Boxplay den Titel gewinnt. So geschehen in den Playoffs der Saison 2014/15. Der HC Davos hatte in den Playoffs mit Abstand das beste Unterzahlspiel und holte sich schliesslich auch klar den Titel. Das gegenteilige Beispiel lieferten in der gleichen Spielzeit die Rapperswil-Jona Lakers. Sie hatten in der Regular Season das beste Powerplay der gesamten Liga. Am Ende stiegen sie in die NLB ab.

Der Aufschrei war gross – auch bei mir – als ab Mitte Dezember die Nulltoleranzregel rigoros umgesetzt wurde. Dies war vor allem so, weil die gängige Meinung ist, dass vieles, um nicht zu sagen alles, mit den Special-Teams steht und fällt. Nun hat sich die ganze Diskussion wieder etwas gelegt. Diese Analyse soll einen kleinen Teil dazu beitragen. Es gibt das berühmte Sprichwort: «Offense wins games. Defense wins Championships.» Aufgrund dieser Analyse kann in Bezug auf die Spielsituationen eindeutig der Schluss gezogen werden: «Specials win games. Normals win Championships.»

Ich würde mich als kleinen Statistik-Freak bezeichnen. Es ist ein hochkomplexes Gebiet und Interpretationen gibt es wohl so viele wie Leute, die die Statistiken betrachten. Auch darum würde ich mich über Reaktionen und Diskussionen freuen – nicht nur über das Thema in diesem Blog.

Das Ambrì-Fieber und seine Nebenwirkungen

Blog mit aktuellen Themen und Hintergrundinformationen rund um das Phänomen HC Ambrì-Piotta - Ein Bergdorf spielt mit den Grossstadt-Vereinen mit.