NHL Observer

Der Open Ice Check von Jacob Trouba gegen Timo Meier im Playoff-Spiel 7 der Hudson River Rivalry ging nicht nur viral (auch ausserhalb der NHL-Community), sondern lancierte auch eine alte Debatte neu: Streng genommen schien der Check regeltechnisch korrekt gewesen zu sein und wurde von den Schiedsrichtern auch so bewertet. Aber wie verhält es sich mit der Grauzone bei der Regelauslegung? Gehört eine solche gezielte Attacke auf die Gesundheit eines Spielers noch ins heutige Eishockey? Die Meinungen hierzu gehen weit auseinander.

Einmal mehr ist die Debatte lanciert, wie die Regelauslegung bei Open Ice Hits wie jenem von Jacob Trouba gegen Timo Meier aussehen soll. Ja, die gesunde Härte gehört zum Playoff-Hockey. Ja, die meisten Fans wollen solche Checks sehen und werden abgefeiert. Besonders wenn diese regelkonform sind. Und technisch gesehen, nach Regel 48.1 („Illegal Check to the Head“), war Troubas Check dies wohl auch. Die Regel besagt: „Eine Kollision ist nicht regelkonform, wenn sie zu einem Kontakt mit dem Kopf eines Gegners führt, wobei der Kopf der Hauptkontaktpunkt gewesen sein muss und ein solcher Kopfkontakt vermeidbar gewesen sein könnte.“

Nach dem Gladiatoren-Motto „Brot und Spiele“

Aber wo hört es auf, wenn die NHL-Profis zu Gladiatoren werden, die ihre Gesundheit aufs Spiel setzen für das Motto „Brot und Spiele“ und zur Unterhaltung der Zuschauer? Nicht zuletzt ist es auch für die Promotion der NHL nicht unwichtig, dass das Produkt NHL attraktiv bleibt und den Fans auch gehörig was geboten wird. Nicht gut jedoch ist, wenn der Sport deswegen als gefährlich oder brutal bei der einen oder anderen potentiellen Zielgruppe in Verruf gerät. Es ist demnach ein Tanz auf dem Drahtseil zwischen guter und schlechter Promo, wenn solche Hits die Schlagzeilen dominieren.

Legal und doch nicht sauber

Mit dem Beginn der Playoffs häufen sich in der Regel auch die harten Checks, die besonders häufig gegen die Schlüsselspieler des Gegners gefahren werden. Es geht um Einschüchterung und das Demonstrieren physischer Dominanz, aber auch soll den Stars vorgeführt werden, dass ihr Wirkungskreis ab sofort eingeschränkter sein wird als in der Regular Season. In den 80er- und 90er-Jahren und um die Jahrhundertwende vor den grösseren Regelanpassungen ans moderne Eishockey konnten sich die NHL-Superstars noch auf ihre Beschützer verlassen, die jeden Hit rächten. Heute wird dies immer mehr unterbunden und einige der Leistungsträger werden in den Playoffs zu Freiwild. Mit Recht wurde in den Fachmedien Nordamerikas die Debatte mit dem folgenden Satz Lanciert: „Jacob Troubas Hit auf Timo Meier zeigt, dass nicht alle legalen Hits sauber sind!“

Gezielter Angriff oder eine spontane und saubere Aktion?

Die grosse Frage, so sagt beispielsweise Ex-Stanley-Cup-Sieger Guy Carbonneau (als Captain der Montréal Canadiens 1993) – aktuell TV-Analyst und -Panelist bei RDS Montréal: „Ich habe ein Problem damit, dass Trouba gezielt und mit Anlauf von der Bank direkt auf Timo Meier zusteuert und nur eines will: Ihn voll erwischen und in Kauf nehmen, dass er für den Rest der Playoffs weg ist! Ausserdem riskiert er so eine Verletzung, die Meier die Karriere kosten könnte – so wie bei Eric Lindros damals.“ Carbonneau, wahrlich auch keiner, der in den Playoffs in seiner Aktivzeit soft mit seinen Gegenspielern umging, legt den Finger auf die Wunde: Wie wird die Intention bei einem solchen Hit bewertet? Offene Fragen sind hierbei: Erkennt man eine Verletzungsabsicht? Wie viel Eigenverantwortung trägt Meier, der den Kopf etwas zu tief hält, während er sich im vollen Tempo zwischen zwei Gegenspieler dribbelt? Und: War der erste Impact regeltechnisch wirklich auf den Körper und war Troubas Schulter vielleicht nicht doch zuerst am Kopf Meiers?

Die Büchse der Pandora öffnen?

Trouba erhält jedoch auch Unterstützung von anderen ehemaligen NHL-Verteidigern. Gilbert Delhorme beispielsweise – auch er ein TV-Analyst – sagte in einer TV-Debatte: „Man verlangt von den Verteidigern, dass sie hart spielen und die Wirkungskreise der Gegner einengen. In vielen Situationen spielst Du als Verteidiger gegen einen mit Puck am Stock heranfahrenden Stürmer nicht den Puck, sondern den Körper. Und speziell in den Playoffs wird von Dir verlangt, dass Du physisch dominierst.“ Es sei richtig gewesen, sagen Delhorme und andere auch, dass man einen „clean hit“ nicht bestrafe. Dies würde die Büchse der Pandora bezüglich der Grauzone in der Regelauslegung öffnen und alle Beteiligten verunsichern. Die Meinungen gehen also weit auseinander.

Der Wiederholungstäter

Eine andere Diskussion beinhaltet ausserdem auch die Tatsache, dass Jacob Trouba seine Reputation als „Hardhitter“ einmal mehr bestätigt hat. Nicht umsonst gilt er als einer der gefürchtetsten und auch unbeliebtesten Gegenspieler der NHL. Mehrmals geriet der Rangers-Captain aus genau diesem Grunde in die Kritik. Zuletzt im Dezember 2022, als er Andreas Athanasiou ähnlich hart wie Meier in der neutralen Zone checkte, was zu einer Massenschlägerei führte, bei welcher sogar Jonathan Toews die Handschuhe fallen liess und auf Trouba losging.

Regeltechnische Debatten wie im Fussball

Irgendwie erinnert diese Debatte auch an jene im Fussball mit der Regelauslegung bei Handspiel im Strafraum. Auch hier ist die Verunsicherung gross, obwohl das Regelwerk klar scheint. Aber der Faktor Intention, also die Absicht der Aktion, kommt oft zu kurz. Was aber alle übereinstimmend sagen: Niemand – und besonders nicht die Spieler - sieht es gerne, wenn sich jemand schwer verletzt oder sich gar gesundheitliche Konsequenzen ergeben.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

NHL Observer

Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.