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Nach dem Goalie Matchup zwischen Marc-André Fleury und Carey Price im Stanley Cup-Semifinale folgte nun ein weiteres episches Duell zwischen zwei Grossmeistern ihrer Zunft.

Hatte bisher Carey Price nach dem Motto „Keep calm and Carey on“ alle Goalie Matchups gegen Jack Campbell, Connor Hellebuyck und M-A. Fleury klar gewonnen, so hatte sich das Blatt in den ersten drei Stanley Cup-Finalpartien gewendet. Andrei Vasilevskiy – nachmaliger Playoff MVP – war derjenige, der die Gegner zur Verzweiflung trieb – mit der genau gleichen Attitüde wie Price zuvor. Da half es auch nicht mehr, dass der „Pricer“ in Spiel 4 und 5 wieder brillierte.

Carey Price ist normalerweise ein Stoiker zwischen den Pfosten, der besonders bezüglich Körpersprache und Fokussierung auf die Aufgabe Eindruck bei seinen Mitspielern und vor allem bei den Gegnern macht. Viele Rettungsaktionen wirken so selbstverständlich und routiniert und technisch sauber. Nicht so in den ersten drei Partien der Stanley Cup-Finals. Die Bolts schafften es als erstes Team in den Playoffs, die innere Ruhe von „Pricer“ (Nickname im Team) zu stören, ihn zu verunsichern und in seinen mentalen Bereich vorzustossen. Wie konnte das passieren? Ist es vielleicht die Tatsache, dass Carey Price endlich das grosse Ziel Stanley Cup in unmittelbarer Griffweite hatte (eine Stanley Cup-Halbfinal-Teilnahme, einen Calder Cup, eine Olympische Goldmedaille und einen World Cup-Sieg sowie eine Vezina Trophy hat er bereits)? Oder haben die Bolts als Erste in den Playoffs 2021 den nötigen Traffic vor seinem Tor erzeugt, weil nach 20 Playoff-Spielen mit jeweils über 25 Minuten Eiszeit und vielen Verlängerungen die vier hauptsächlich eingesetzten Verteidiger der Habs so langsam aber sicher nicht mehr die physische und mentale Dominanz etablieren konnten wie zuvor?

Die Big Saves in spielentscheidenden Momenten blieben diesmal aus

Tatsache ist: Price machte in den ersten Finalspielen auf einmal Fehler. Sein Puckhandling war nicht mehr so sicher, er liess mehr Rebounds zu (die auch schon zu Gegentreffern führten) und haderte, wenn er ein Tor kassierte, bei welchem er den Puck vorher nicht sah. Es fiel auf, dass ein Negativerlebnis wie ein Gegentor ihn nicht mehr so kalt liess wie zuvor. Was wohl bei Price wie auch bei seinen Mitspielern einschenkte: Immer wieder fiel das viel zitierte Momentum zur Unzeit auf die Seite der Bolts - meist dann, wenn die Habs dabei waren, auf Augenhöhe zu spielen oder gar phasenweise Dominanz aufbauen. Das waren mentale Nackenschläge, die auch bei einem Carey Price Spuren hinterliessen. Erst in Spiel 4 der Finalserie fand Price zu seiner alten Dominanz zurück, aber da waren die Weichen zum Stanley Cup-Erfolg zu Gunsten der Bolts bereits gestellt.

Im Gegensatz dazu Andrei Vasilevskiy. Er war bis zuletzt in „seiner Blase“, sehr konstant und bewirkte bei den Canadiens genau das, was zuvor Price bei den Gegnern auslöste: Nämlich das kleine Quantum zu viel Zweifel oder Unsicherheit in der Umsetzung beim Abschluss. Auch statistisch ist es belegt, dass Andrei Vasilevskiy seine Werte aufrechterhalten konnte, während jene von Carey Price in den ersten drei Finalpartien im Sinkflug waren. Ein evidentes Beispiel ist die Quote der gehaltenen Schüsse in der Advanced Statistic: Offiziell sank diese bei Price von 95 und 93 Prozent während den Finals auf 92 Prozent. Aber noch stärker wirkte die Tatsache, dass Price in den wichtigen Phasen eines Spiels die Big Save-Paraden zeigte, jedoch nicht mehr jetzt in den ersten drei Finalspielen. Unterdessen performte Andrei Vasilevskiy ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt als „Money Player“ seine besten Partien und vollzog jeweils genau in den wichtigen, spielentscheidenden Momenten die nötigen Paraden.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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