NHL Observer

Das Duell zwischen den Vegas Golden Knights und den Canadiens de Montréal erscheint auf den ersten Blick ungleich. In der Spielstruktur sind sich beide Teams aber recht ähnlich. Was mit besonderer Spannung erwartet wird: Welcher Keeper gewinnt das Direktduell, Carey Price oder Marc-André Fleury?

Bei der Analyse der Kaderstruktur fällt auf, dass viele Gemeinsamkeiten bestehen: Keines der beiden Teams verlässt sich ausschliesslich auf ein oder zwei produktive Offensivtrios, sondern setzt auf einen sehr ausgeglichenen Kader mit einer Linie, die fähig ist, das Toptrio des Gegners zu neutralisieren. Besonders hervorzuheben sind da Mark Stone auf Seiten der Knights und Phillip Danault bei den Habs. Beide sind nicht nur die besten Defensivstürmer, sondern auch das „defensiv-taktische Hirn“ der Mannschaft. Beide konnten jeweils absolute Offensiv-Monster zur Verzweiflung bringen (Danault gegen Matthews/Marner, Stone gegen McKinnon). Einen Vorteil hat Mark Stone: Er ist torgefährlicher, was aber den enormen Wert von Phillip Danault für Montreal keineswegs schmälert.

Spannend wird, abgesehen natürlich vom Torhüterduell auf allerhöchster Ebene (siehe separate Texte auf dieser Seite): Wie werden die beiden Top-Verteidigerpaare performen? Auch hier gibt es Parallelen: Robustheit und Beweglichkeit sind Trumpf ... und offensiver Impact. Hierbei hoffen natürlich die Habs, dass mit Jeff Petry nicht ausgerechnet der mobilste und offensiv kreativste Back noch allzu lange an seiner Handverletzung laborieren muss. Für den Start in die Serie fällt er schon mal aus.

Besondere Ausgangslage für „Patch“, Suzuki/Tatar und die Québecois

Einige weitere Besonderheiten dieser Halbfinalserie: Erstmals trifft Max Pacioretty, der ehemalige (und damals für viele Jahre eigentlich designierte) Captain der Montreal Canadiens, auf einen Grossteil seiner alten Weggefährten. Und Nick Suzuki sowie Tomas Tatar, die im Gegenzug für „Patch“ nach Montreal kamen, wollen ihrem ehemaligen Club auch etwas beweisen. Besonders Tomas Tatar, der in Vegas als nicht playoff-kompatibel bezeichnet wurde. Auch wenn die Ausgangslage eine gewisse emotionale Brisanz beinhaltet, so ist der Deal von damals für beide Clubs in der Nachbetrachtung eine klare Win-Win-Situation. Auch speziell wird das Aufeinandertreffen für die Québecois auf Seiten der Knights: Jonathan Marchessault, Willaim Carrier und Marc-André Fleury.

Das Goalieduell auf höchstem Level

Das Duell Marc-André Fleury gegen Carey Price ist wohl vom Niveau her vergleichbar mit jenem zwischen Patrick Roy und Martin Brodeur in den Finals 2001. Beide sind nicht nur auf dem Zenit ihres Könnens, sondern auch statistisch in den Playoffs 2021 top:

„Keep calm and Carey on“ - Dies war ein Motto bei den Canadiens de Montréal in den letzten Jahren. Mit Kritik umgehen – damit musste Carey Price seit jeher. Und besonders auch, seit er mit dem 84 Mio. Vertrag auf acht Jahre einen beträchtlichen Teil der Gehaltsstruktur der Mannschaft ausfüllt. Die Botschaft von GM Marc Bergevin: Um Carey Price ist der Kader aufgebaut und der Goalie soll „seinen Preis“ besonders in den Playoffs wert sein. Und er ist es: Bereits in den Bubble-Playoffs 2020 stark und dominant ist er nun 2021 sogar überragend: Seine Körpersprache, die Physis und die technische Leichtigkeit bei den Rettungstaten sind „einschüchternd“. Das bestätigen auch die gegnerischen Stürmer, die unbewusst einen Sekundenbruchteil zu viel überlegen, wenn sie ihm gegenüber stehen. Es sei, so sagen auch Fachleute wie Manon Rhéaume (erste Frau mit einem Einsatz in einem NHL-Team 1992) und Marc Denis (Ex-NHL-Keeper, TV-Experte), ein so genanntes „Intangible“ - ein nicht quantitativ messbarer, aber deutlich spürbarer Wirkungsgrad. Selbst im Zweitrunden-Direktduell mit Winnipegs Connor Hellebuyck, der selbst stark spielte, war er sowohl bezüglich Resultat als auch „gefühlt“ der klare Sieger.

Auch auf statistischer Ebene kann Carey Price mit den Top 3 Keepern der Playoffs 2021 mithalten. Beim Rettungskoeffizienten steht er mittlerweile mit 93,5 Prozent auf Platz Eins. Hierbei muss noch betont werden, dass Price in der Summe und im Verhältnis zu anderen Playoff-Goalies wohl die meisten Big Saves performte. In der Gegentor-Statistik brilliert er mit Platz 3 (1,97 pro Spiel) – fast auf Augenhöhe mit seinem Semifinal-Kontrahenten Marc-André Fleury. Für den Olympiasieger 2014 und World Cup-Gewinner 2016 Carey Price ist die Gelegenheit optimal, endlich nach einer langen Karriere den Stanley Cup zu gewinnen. Das gilt auch für seinen Captain Shea Weber. Würde Price die Karriere „unvollendet“ beenden, wäre dies fast tragisch, ist er doch der Habs-Goalie mit den meisten Siegen „ever“.

Kann „Flower“ seinen Montreal-Komplex ablegen?

Gemessen an folgende Fakten muss man Marc-André Fleury ohne Zweifel als „Mister Playoffs“ bezeichnen: Sportart übergreifend ist er mit mittlerweile 15. der Rekordträger für aufeinanderfolgende Playoff-Teilnahmen. Dabei gewann er drei Mal den Stanley Cup (Pittsburgh) und war nur einmal in der Finalserie (2018, Vegas) auf der Verliererseite. Seine Leistungen in den Playoffs sind in der Regel überragend, wenn auch er manchmal im einen oder anderen Spiel gewisse Leistungsschwankungen zeigt. Aber: „Flower“ ist ein Beispiel an Resilienz! Kaum einmal beeinflusst ihn ein schlechtes Spiel oder eine unglückliche Aktion negativ.

Fleury ist zudem seit diesen Playoffs auch die Nummer 3 in der ewigen Bestenliste der Playoff-Goalies bezüglich Siege hinter Patrick Roy und Martin Brodeur und vor Grant Fuhr. Mit 36 ist er nach wie vor athletisch auf Topniveau und seit eh und je auch mental stark. Als sein ihm sehr nahestehender Vater starb, verewigte er einen seiner Leitsprüche auf seiner Goalie-Maske und schöpfte so noch mehr Kraft. Doch ein kleines mentales „Johari-Fenster“ gibt es doch: Gegen die Canadiens de Montréal – dem Herzensclub aus seiner Jugend – hat der Québecois seit jeher auf eine unerklärliche Art Probleme. Dies ist nicht nur statistisch dokumentiert, sondern auch die einhellige Meinung aller Expertinnen und Experten nach jahrelanger Beobachtung und Analyse seiner Partien gegen die Habs. Besonders schmerzhaft war die Zweitrunden-Niederlage in den Playoffs 2010, als „Flower“ mit den hoch favorisierten Pens gegen die völlig entfesselnd aufspielen Habs nach sieben Partien ausschieden und mithören musste, wie die Fans ihm „You've been Halak-ed“ zuriefen. Fleury belegt in der Gegentor-Statistik Rang 2 (1,91, Bester unter den Keepern ab Runde 2) und hat bei den Rettungsaktionen mit 92,3 Prozent einen guten Quotienten. Was auffällt: Die Big Saves erfolgten sowohl in Runde Eins als auch gegen Colorado jeweils in jenen Momenten, in welchen sie wichtig waren.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.