Bull-etin Zug

Der EV Zug steht einen Sieg vor der zweiten Finalteilnahme in drei Saisons. Doch heuer dominieren die Zuger ihre Gegner. Diese Dominanz wird bei einer Auseinandersetzung mit Hockey-Lehrsätzen, der Inspiration des Coaches und nach Diskussionen über den meistunterschätzten Spieler des EVZ verständlich.

«Wer schiesst die Tore beim EVZ?» Wie so oft in den Playoffs vergangener Jahre fällt es auch heuer schwierig, auf diese Frage eine Auswahl an konkreten Namen zu nennen. Doch nun aus total unterschiedlichen Gründen. Wurden in den letzten Jahren (oder eher Jahrzehnten) in der Regel auch die hochdotierten Offensivstars spätestens in den Playoff-Halbfinals von Ladehemmungen heimgesucht, so scheinen im Frühling 2019 sämtliche Akteure mit einem Stier auf der Brust für ein Tor gut zu sein. So hat Jesse Zgraggen zum Auftakt der Halbfinalserie seinen ersten Meisterschaftstreffer für den EVZ und seinen ersten Playoff-Treffer seit fünf Jahren erzielt. Im zweiten Heimspiel hat auch sein Verteidigerkollege Johann Morant den ersten Playoff-Treffer in seiner Profikarriere gebucht – mit seinem ersten Treffer nach über zweijähriger Durststrecke und im zarten Alter von beinahe 33 Jahren. Yannick Zehnder sorgte in einem seiner raren Einsätze anfangs des dritten Drittels in Spiel 2, als die Zuger erstmals ernsthaft im Hintertreffen gegen den LHC waren, mit seinem energischen Einsatz dafür, dass Yannick-Lennart Albrecht den Puck nur noch ins leere Tor zum ebenso überraschenden wie wichtigen (doch letztlich wertlosen) Anschlusstreffer einzuschieben brauchte.

Überragender Garrett Roe

Doch nicht nur die Spieler aus der zweiten offensiven Garde produzieren überdurchschnittlich. Designierte Topscorer wie Garrett Roe und Lino Martschini haben mit ihren je fünf Playoff-Toren neue persönliche Bestmarken aufgestellt und als momentane Playoff-Topscorer Geschichten darüber, dass Kleingewachsene in den Playoffs zum Abtauchen verdammt sind, eindrücklich zerstreut. Überhaupt kann Roe bisher als Zuger MVP betrachtet werden. Nicht nur schiesst er entscheidende Tore und führt in der ersten Powerplay-Formation, die in drei der vier Halbfinal-Begegnungen für den Führungstreffer verantwortlich zeichnete (in der zweiten, verlorenen Partie übernahm die zweite PP-Formation diese Aufgabe), magistral Regie. Der Center tritt in allen drei Zonen dominant und kampfstark auf.

Entsprechend gross ist das Vertrauen von Coach Dan Tangnes in den Amerikaner. Mit über 22 Minuten pro Partie erhält er von allen Zuger Stürmern am meisten Eiszeit – über fünf Minuten mehr als die beiden anderen ausländischen Center Brian Flynn und David McIntyre. Roe bestreitet davon durchschnittlich 2:42 Minuten in Unterzahl – nach seinem derzeit verletzten Linienkollegen Dennis Everberg (03:24) ist dies der höchste Wert von allen Stürmern, die mit ihren Teams in den Halbfinals antreten. Zudem schickt ihn Tangnes gerne für entscheidende Bullies auf das Eis, um einen knappen Vorsprung zu verteidigen. Von allen Halbfinalisten bestreitet der 31-Jährige am meisten Bullies (24.25 pro Partie) und weist mit 56.70 Prozent an gewonnenen Anspielen eine sehr gute Quote auf. Diese Statistiken illustrieren eindrücklich, dass Roe für seine Mannschaft noch mehr Wert hat, als dies die blossen, bereits überragenden Punktestatistiken ausdrücken.

Der in allen drei Zonen dominante Garrett Roe konnte Lausannes Topscorer Joël Vermin aus dem Rampenlicht drängen
PHOTOPRESS / Salvatore di nolfi

Der neue Hockey-Lehrsatz

Angesichts der Dominanz von Roe dürfte es Lausanne umso mehr schmerzen, dass es ohne seinen verletzten Erstlinien-Center Dustin Jeffrey auskommen muss. Doch die Differenz zwischen den beiden Teams bloss mit der Absenz des wichtigsten Einzelspielers der Waadtländer zu erklären, würde nicht nur deswegen zu kurz greifen, weil dem EVZ mit Everberg ebenfalls ein äusserst wichtiger Akteur fehlt. Vielmehr vermögen auch die anderen Linien des LHC nicht mit jenen des Gegners mitzuhalten. So waren die Waadtländer nur in einem von bisher zwölf Dritteln besser. Egal welche Taktik Coach Ville Peltonen wählt – er hat noch kein Rezept gefunden, um den Kolinstädtern nachhaltig zusetzen zu können.

Ganz anders sein Antipode. Tangnes hat seine Ideen derart durchgesetzt, dass der Erfolg trotz der mit Abstand höchsten Schusseffizienz von 11.72 Prozent nicht in erster Linie mit Glück erklärt werden kann, sondern auf geschicktem Coaching basiert, das in möglichst vielen Bereichen die Erfolgswahrscheinlichkeiten zu maximieren versucht. Das intensive, schnelle Spiel, mit dem zahlreiche Chancen herausgespielt und der Gegner permanent unter Druck gesetzt werden soll, hat die Mannschaft in den Playoffs mit einer beeindruckenden Regelmässigkeit ausgeführt –beim 5:0-Sieg in Spiel 3 gegen Lausanne beinahe in Vollendung. Die Dominanz der Zuger lässt sich anhand des Schussverhältnisses veranschaulichen. Von allen Schüssen, die in einer Partie den Weg auf das gegnerische Tor gefunden haben, konnten die Zuger in den Playoffs 54,93 Prozent (Merci beaucoup à nlicedata.com pour mettre les stats à disposition!) auf ihr Konto verbuchen – mit Abstand der beste Wert. Der zweitplatzierte SC Bern weist einen Wert von 51,4 Prozent auf. Der Grundsatz «Je mehr Scheibenbesitz, desto mehr Schüsse, Chancen und eine höhere Wahrscheinlichkeit, das nächste Tor zu erzielen» zahlt sich bisher aus und besitzt aussichtsreiche Chancen, die Hockey-Weisheit «Offence wins games, defence wins championships» als Hockey-Lehrsatz abzulösen.

Martschini und Morant haben persönliche Bestmarken aufgestellt und stehen so für die Philosophie unter Tangnes
PHOTOPRESS / Alexandra Wey

Die Diskussion über den meistunterschätzten Spieler

Das Ideal des kompletten Eishockey-Spiels zeigt sich jedoch nicht nur in der Spielweise, sondern auch im Fördern der einzelnen Spieler. Bereits bei seiner Vorstellung vor knapp einem Jahr hat der norwegische Coach seine Philosophie so beschrieben, dass wenn er jeden Spieler besser machen kann, dadurch das Kollektiv als Ganzes ebenfalls besser würde. Das hat den doppelten Effekt, dass die Zuger heuer mit vier Linien ihre Gegner unter Druck setzen können und die Top-Cracks nun für die wichtigsten Spiele der Saison wesentlich frischer sind und problemlos forciert werden können. Als bestes Beispiel mag wiederum Roe dienen, der in den Playoffs vor einem Jahr ausgelaugt wirkte.

Unter Tangnes haben praktisch sämtliche Spieler in ihrer Entwicklung mindestens einen Schritt nach vorne gemacht. Der Coach muss dies ähnlich sehen. Denn als er letzten Samstag von hockeyfans-Reporter Fabian Lehner gefragt wurde, welcher Zuger Spieler von der Öffentlichkeit nicht genügend Kredit für seine Leistungen erhalten würde, musste der 40-Jährige erst innehalten, bevor er einen Namen nannte. In der Tat folgte danach eine Aufzählung inklusive Begründung von Dario Simion über Sven Leuenberger und Dominic Lammer bis zu Thomas Thiry, der zwar «nicht der talentierteste Spieler hinsichtlich sexy Spielzüge, aber ein ehrlicher Verteidiger mit soliden Statistiken [ist], der hart spielt und einen guten Job im Penalty Killing verrichtet. Er wächst zu einem wichtigen Spieler für uns heran.» Der Coach hätte seine Liste beliebig weiterführen können – sein «man management» funktioniert dermassen erfolgreich, dass gleich mehrere seiner Schützlinge persönliche Bestmarken in den Playoffs aufstellen und somit dem Team zum Erfolg verhelfen.

Einer der zahlreichen «meistunterschätzten» Zuger: Thomas Thiry
PHOTOPRESS / Urs Flüeler​​​​​​​

Inspiration Barcelona

Die Philosophie, ein möglichst komplettes Eishockey zu spielen – und die Arbeit auf und neben dem Eis gemäss dieser auszuführen – entspricht gewissermassen den Grundsätzen des «totalen Fussball», mit dem zunächst die Niederlande und Ajax Amsterdam in den 1970er Jahren und später der FC Barcelona Millionen von Fussballfans verzückt und unzählige Triumphe gefeiert haben. Diese Erkenntnis mag nicht überraschen, hat doch Tangnes bereits vor der Saison verraten, dass er sich vom Spielstil der Katalanen inspirieren lässt. Erstaunlich ist hingegen, dass seine Mannschaft diese Ideen dermassen schnell und umfassend umsetzen kann. Dass die Zuger einen Sieg vor der zweiten Finalteilnahme in drei Saisons stehen, spricht für die tägliche Arbeit des Coaching Staff – ebenso wie für jene des Managements, das ideale Bedingungen für die Protagonisten bereitstellt, und von Sportchef Reto Kläy, der bereits vor der Ankunft seines Wunschtrainers die passenden Spieler für dessen Spielphilosophie verpflichtet hat.

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