NHL Observer

Die General Manager der NHL müssen heutzutage kreativ sein. Das hat sich auch im Sommer 2022 wieder einmal gezeigt. Denn viele mussten beweisen, dass sie echte Magier sein können, wenn es um das Handling des Salary Caps und das Erarbeiten von komplizierten Lösungswegen bei Transfers geht. Einige GMs haben sich brillant aus heiklen Situationen manövriert und sogar Profit heraus schlagen können oder konnten sich mit geschickter Transferpolitik gut in Szene setzen und so viel Applaus für ihre Arbeit ernten.

Ob Brad Treviling, Kent Hughes, Steve Yzerman, Pierre Dorion oder Tom Fitzgerald – sie alle haben im Sommer 2022 die Fachwelt aufhorchen lassen mit interessanten Geschäften und Transfers. Manche dieser Tausch- oder Transfergeschäfte wurden mit viel Kreativität möglich gemacht. Andere kamen zustande, weil sich einige der Star- oder Rollenspieler neu orientieren wollten und die Gelegenheiten hierfür genutzt wurden. Aber einige der Geschäfte hinter den Kulissen des Drafts 2022 offenbarten, wie kreativ die General Manager mittlerweile sind, wenn es darum geht, einen oder mehrere für die kurz- oder mittelfristigen Bedürfnisse optimalen Spieler an sich zu binden. Nicht zuletzt auch war es aufschlussreich zu interpretieren, wie gedraftet wurde und welche Pläne in den Köpfen der GMs schlummern.

Direkte und indirekte Wege zum Wunschtransfer

Auf den ersten Blick wurden General Manager wie Jarmo Kekalainen (Columbus Blue Jackets) gefeiert für die (überraschende) Verpflichtung von Johnny Gaudreau auf dem Free-Agency-Markt. Auch Bill Zito (Florida Panthers) ist mit dem Matthew Tkachuk-„Blockbuster-Tauschgeschäft“ (für Jonathan Huberdeau und MacKenzie Weagar) viel Risiko eingegangen. Die Panthers haben so ein klares Statement abgegeben, wie die Philosophie der Mannschaft in Zukunft aussehen soll. Gleichzeitig war in Calgary schon im Frühling eine gewisse Nervosität spürbar, dass das Super-Trio mit Johnny Gaudreau, Matt Tkachuk und Elias Lindholm 2022/23 nicht mehr zusammen in Calgary spielen wird. Flames-GM Brad Trevelling hat sich aber als sehr kreativ und resilient erwiesen und einige gute Lösungen gefunden, um aus der verzwickten Lage das Beste heraus zu holen (siehe unten: „Das GM-Sommer-Ranking 2022“). Man könnte noch viele Beispiele auswählen, die dokumentieren, wie die Herren des Salary Caps arbeiten. So hat New Jersey Devils-GM Tom Fitzgerald von Anfang an voll auf die Karte Ondrej Palat gesetzt, der nun neben seinem Top-Center und Captain Nico Hischier agieren wird. Wichtige Vertragsverlängerungen (zum Beispiel mit Jonas Siegenthaler) wurden zudem getätigt und auch mit Vitek Vanecek einen sehr guter zweiter Keeper geholt. In der Verteidigung sind neu John Marino und Brendan Smith. Ein weiterer guter Transfer für die offensive Kadertiefe der Devils ist Erik Haula.

Auch die noch unerfahrenen General Manager haben abgeliefert: Kent Hughes zeigte viel Dynamik, Zielstrebigkeit und Kreativität (siehe unten: „Das GM-Sommer-Ranking 2022“) wie auch Kyle Davidson von den Chicago Blackhawks, der viel Mut bei seinen zuweilen heiklen Entscheidungen bewies. So liess er wichtige Teamstützen gehen und riskierte bei seinem kompromisslosen Kader-Neuaufbau weitere Abgänge. Interessant auch das Vorgehen von Ron Hextall – ein erfahrener GM, aber neu der General Manager bei den Pittsburgh Penguins: Er war bedacht, den bewährten Mannschaftskern zusammen zu halten und nur punktuell zu verstärken mit Jeff Petry als Offensivverteidiger und Ty Smith als einem der Neuen in den Top Six der Verteidigung.

Viele General Manager haben in den letzten Monaten interessante, visionäre oder auch kreative Geschäfte getätigt. Hier ist unser GM-Power-Ranking zum Saisonstart 2022:

Platz 1: Der Entfesselungskünstler

Calgary Flames-General Manager Brad Treviling hat sich diesen Sommer als Entfesselungskünstler eine Menge Respekt verdient. Er verlor mit „Johnny Hockey“ Gaudreau und Matt Tkachuk zwei der wohl meist umworbenen Spieler der NHL. Vieles deutete darauf hin, dass bei den Flames ein riesiger Substanzverlust entstehen würde. Aber weit gefehlt: Im Tauschgeschäft mit den Florida Panthers könnte Treviling eventuell sogar als Sieger hervorgehen, erhielt er doch für den Powerforward nicht nur einen begnadeten Spielmacher und Topskorer wie Jonathan Huberdeau sondern mit MacKenzie Weagar auch einen Top-Verteidiger für die Kadertiefe. Und mit dem Weggang von Johnny Gaudreau und Sean Monahan wurde Platz bei der Salärobergrenze geschaffen für Nazem Kadri inklusive finanziellem Puffer für die Lohnerhöhungen bei Andrew Mangiapane und Oliver Kylington.

Platz 2: Der Alchemist

Kent Hughes kam, sah und agierte. Seit der neue General Manager der Canadiens de Montréal während der Saison 2021/22 im Amt ist, hat er bewiesen, dass er keine noch so komplizierten Wege scheut, um sein Rebuilding in erfolgreiche Bahnen zu lenken. Der Coup mit Sean Monahan (nachdem Carey Price auf die Longtime Injury List kam) war der krönende Abschluss einer Vielzahl von interessanten Transfers: Der gebürtige Montréalais Mike Matheson kam für Jeff Petry. Und Kirby Dach in einem Dreiecktransfer mit den Chicago Blackhawks und den New York Islanders für Alexander Romanow während der ersten Draftrunde, wo man zudem noch aus strategischen Überlegungen Juraj Slafkovsky wählte. Ausserdem wurde Evgenii Dadonov für das Secondary Scoring verpflichtet. Auch war es Hughes, der die Vertragsverlängerung und somit die Beförderung von Martin St. Louis als Chefcoach unterstützte und Nick Suzuki als neuen Captain vorschlug.

Platz 3: Der „Yzerplaner"

Steve Yzerman hat fast sein ganzes Eishockeyleben bei den Detroit Red Wings verbracht. Für wenige Jahre wirkte er in Tampa Bay erfolgreich als GM und nun ist er in dieser Funktion wieder zurück in Motor City. Was er seitdem bewirkte, lässt sich sehen und wird in Detroit als „Yzerplan“ gefeiert. Man vertraut dem Idol der Red Wings und lässt ihm Zeit, ein schlagkräftiges Team zu formen. Diesen Sommer hat er noch einen draufgesetzt: Mit Ben Chiarot, Olli Maata, Robert Hagg, Mark Pysyk und Goalie Ville Husso wurde die Defensive noch einmal qualitativ verbessert. Aber er schaffte auch noch einige Offensiv-Homeruns mit den Verpflichtungen von David Perron, Andrew Copp und Dominik Kubalik.

Platz 4: Der Stratege

Unaufgeregt und trotzdem effizient: Don Waddell, GM der Carolina Hurricanes, hat Max Pacioretty und Brent Burns verpflichten können und so punktuell den Kader verstärkt. In den nordamerikanischen Medien feiert man ihn, weil er diese beiden Superstars gewissermassen „for peanuts and confetti“ (Zitat) an Bord holen konnte.

Platz 5: Der Verwegene

Sens-GM Pierre Dorion hat es tatsächlich geschafft, aus den Ottawa Senators einen ernstzunehmenden Playoff-Kandidaten zu machen. Er wird den vor zwei Jahren angekündigten Neuaufbau möglicherweise schneller als erwartet abschliessen. Die Vertragsverlängerungen über sieben beziehungsweise acht Jahre mit Brady Tkachuk und Tim Stützle waren ein Signal. Genauso wie der neue Vertrag von Josh Norris. Aber damit nicht genug: Mit Claude Giroux kommt ein Superstar in seine Heimat zurück und die Verpflichtung von Alex DeBrincat war ein Coup sondergleichen. Das stellt sogar die Neuverpflichtungen von Tyler Motte und vor allem Cam Talbot in den Schatten.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.