NHL Observer

Der Super Bowl 2022 ist Geschichte – die Aufmerksamkeit gehört wieder anderen Sportarten.

Für die NHL-Teams in klassischen NFL-Märkten ist die Football-Playoffzeit bezüglich Aufmerksamkeitsvolumen eine Herausforderung. Die Konkurrenz ist riesig. Zumal die NBA und MLB zum gleichen Zeitpunkt auch im grossen Sportteich nach Aufmerksamkeit fischt. Für manche ist aber die Zeit nach dem Super Bowl-Event der Beginn eines neuen Aufmerksamkeitszuspruchs bei Sportfans und Medien.

In klassischen NFL-Märkten ist - das beweisen die Zuschauerzahlen und die TV-Ratings - die Synergie zwischen den grossen Mannschaftssportarten sichtbar. In Minnesota, der Grossregion New York, Massachusetts/New England, Pennsylvania (Pittsburgh, Philadelphia), Chicago und Kalifornien zum Beispiel. Aber: Bei den meisten besteht hierbei eine lange Tradition in den verschiedenen populären Mannschaftssportarten und Major Leagues (NHL, NFL, NBA und MLB).

In einigen US-Märkten ist das NFL-Saisonende willkommen

Nicht ganz uneigennützig fiebert man in einigen NHL-Märkten dem NFL-Saisonende entgegen, denn die NFL-Playoffs und der lange Schatten des Super Bowl lenkten die Aufmerksamkeit sehr stark vom eigenen Angebot ab. Und noch können bis Ende März die NHL- (und NBA-) Teams nach dem Saisonende der NFL mehr uneingeschränkte Aufmerksamkeit generieren und profitieren. Dann aber startet die Saison in der Major League Baseball und diese Aufmerksamkeit verteilt sich auf weitere populäre Sportteams.

Zahlen aus der Vergangenheit beweisen, dass in einigen NHL-Märkten die Medienaufmerksamkeit für den Eishockeysport um das Doppelte oder gar Dreifache stieg, sobald der Super Bowl die Berichterstattungen nicht mehr dominierte. Je nachdem, wie erfolgreich das NHL-Team der Stadt oder des Einzugsgebietes in der respektiven Saison agierte und je nachdem wie populär die NHL in den Regionen ist.

Ein Beispiel aus früheren Jahren: Als die Denver Broncos und New England Patriots oder auch die Philadelphia Eagles sich im Super Bowl durchsetzten, erhielten die NHL-Clubs in diesen immerhin klassischen NHL-Märkten (Denver/Colorado seit 1996) nach dem Super Bowl-Triumph des in ihrem Einzugsgebiet befindlichen NFL-Teams nicht nur eine grössere Aufmerksamkeit bei den Sportfans und mehr Präsenz in den Medien. Es entwickelte sich ausserdem noch atmosphärisch eine Steigerung der Sportbegeisterung in der Stadt beziehungsweise in der Region. Ein Vorteil hierbei war, dass die grossen Major-Sports-Mannschaften in der Stadt oder im Bundesstaat beheimatet sind. Sportbegeisterung sei ansteckend, sagen jeweils auch mehrere NHL-Stars.

Ansteckende Sportbegeisterung - auch sportartübergreifend?

Es gilt somit der Grundsatz: Wenn es den grossen Sportteams der Region oder Stadt sportlich gut läuft, ist auch eine Auswirkung auf die generelle Sportbegeisterung der Fans und den TV-Ratings messbar. Die Medienanalytiker in Nordamerika bestätigen diesen Umstand der „sportartenübergreifend ansteckenden Sportbegeisterung“. Etwas weniger wird diese Dynamik diesmal im Grossraum Südkalifornien (L.A. Rams) für die lokalen NHL-Teams zu erwarten sein. Die L.A. Kings sorgen diese Saison für eine überschaubare Begeisterung. Die Anaheim Ducks haben viele Sympathien gewonnen mit dem bisherigen Auftritt ihres jungen Teams. Aber: Hier ist und bleibt der Eishockeysport, selbst in erfolgreichen Saisons, in der Beliebtheitsskala und bezüglich Interessenpotenzial bei Fans und potenziellen Wirtschaftspartnern hinter Football, Basketball und Baseball. Eindeutig ist der Fall in Cincinnati, das heuer mit den überraschenden Bengals das zweite Super-Bowl-Team 2022 stellt und wo keine NHL-Mannschaft existiert. Ausser, man zählt die Columbus Blue Jackets zur erweiterten Region. Hier konnte festgestellt werden, dass in US-Amerikanischen NHL-Märkten ohne grosse NFL-Konkurrenz oder mit (bisher) sportlich nicht so starken NFL-Teams sich erfahrungsgemäss die Medienaufmerksamkeit und die Zuschauer- und Zuhörerquoten in der Regel fast verdoppelt haben. Die grösste Konkurrenz in den Wintermonaten für die Blue Jackets sind hierbei die Cleveland Cavaliers/NBA, das Major-League-Soccer-Team der Columbus Crew, die Cleveland Browns und eben die Cincinnati Bengals, aber vor allem die Ohio State Buckeyes/NCAA, die in Columbus beheimatet sind.

Die Europa-Strategien

Europa ist für die NHL und speziell auch für die NFL ein immer wichtigerer Markt geworden. Gemäss NHL Deputy Commissioner Bill Daly gebe es in der Europa-Strategie verschiedene Ebenen als Teil einer umfassenderen Strategie zu berücksichtigen. In einem Interview auf NHL.com sagte er: „Es gibt die Eishockey-Kernmärkte, in welchen wir Spiele der regulären Saison austragen. Also in Finnland, Schweden oder Tschechien sowie Deutschland und die Schweiz. Aber wir konnten die Präsenz unserer Teams in Europa auch nutzen, um gewisse Eishockey-Märkte zusätzlich zu stärken.“ Dies war, so Daly, in den letzten Jahren besonders auch zutreffend auf Deutschland und die Schweiz. Das seien Märkte, in denen Eishockey zwar nicht an erster Stelle steht, aber unglaublich populär ist und eine hohe Fanbasis und -treue geniesse. „Wir konnten die Begeisterung in den Märkten nutzen, die viele NHL-Spieler hervorbringen und gleichzeitig das Wachstum des Eishockeys in den Märkten ankurbeln, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht so viele NHL-Spieler hervorbringen.“

Etwas anders sieht es aus bei der Europa-Strategie der NFL: Hier müsse man nach wie vor – trotz explosionsartiger Interessensteigerung in den letzten zehn Jahren – das Footballverständnis etablieren und den Footballsport positionieren. In Deutschland und Grossbritannien sind die grössten Fortschritte erkennbar. Auch, weil die Nischenmedien in diesem Nischensport eine grosse Promo-Arbeit verrichten (RAN Football beispielsweise in Deutschland mit einem attraktiven Programm und kompetenten Experten). Ausserdem bringt Deutschland auch NFL-Spieler von Format hervor, was das Interesse noch weiter schürt. Der Hype um die NFL-Playoffs und vor allem um den Super Bowl steigert das Interesse bei Sportinteressierten, die nicht zum Kernzielpublikum gehören, jedoch nur situativ.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.