NHL Observer

Es war absehbar, dass es soweit kommen würde: Die Trikotwerbung mit einem (noch) relativ kleinen Logo auf den NHL Jerseys ist ab 2022 erlaubt. Mit der Zulassung der Helmwerbung wurde aber 2020 bereits die Büchse der Pandora für neue Vermarktungsmöglichkeiten geöffnet.

Bisher war die Trikotwerbung in den grossen Nordamerikanischen Profiligen (Ausnahme: MLS) ein absolutes Tabuthema. Weder in der National Football League noch der Major League Baseball dürfen die Clubs an ihren Trikots die Logos von Werbepartnern anbringen. Einzig die NBA-Teams können seit 2017 einen kleinen Bereich der Jerseys für eine Anzeige anbieten. In der National Basketball Association sind Sponsorflächen auf den Trikots seit 2017/18 fixer Bestandteil – seit damals hat dies für einen Gewinn von 150 Millionen US Dollar gesorgt.

Nun zeigt sich jedoch ein neues Bild: Seit Ausbruch der Corona-Pandemie fielen viele flankierende marketingrelevante Einnahmequellen aus und Marketingmassnahmen waren nur beschränkt umsetzbar. Auch jetzt noch kann man nicht auf die gleichen Möglichkeiten wie vor 2019 zurückgreifen. Der Moment, für den ersten Schritt in Richtung Trikotwerbung, schien ideal und nun versucht man das NHL-Publikum ganz behutsam an den Gedanken zu gewöhnen, dass bald auf ihren Fan-Trikots ein Werbeträger zu sehen sein wird. Es dürfen nun mit potenziellen Werbepartnern Verhandlungen geführt werden für einen Platz von rund 7,6 auf 8,9 Zentimetern auf den Trikots. Für viele Fans ein Tabubruch sondergleichen. Die Meinungen, vor allem in Kanada, sind sehr gespalten. Einerseits versteht man die Intentionen, andererseits ist auch bekannt, dass man mit den bisherigen Einnahmequellen und Marketingmassnahmen vor dem Frühling 2020 gut wirtschaften konnte und die Wertschöpfungsketten funktionierten.

Die Interessenten werden sich gegenseitig überbieten...

Aber: Die Auswertungen der Einnahmen aus der - ebenfalls erstmals zugelassenen - Helmwerbung 2020/21 ergab, dass diese Werbeflächen den NHL-Clubs insgesamt über 100 Millionen Dollar eingebracht haben. Nun aber ist eine Werbefläche auf den Trikots den puristischen Fans ungleich heikler zu vermitteln. Denn hier geht es darum, dass in Nordamerika die Fans sich nicht gewohnt sind, als freiwillige wandelnde Werbesäulen zu fungieren. Besonders mit Hinblick, dass die Trikots bezüglich Qualität besser und auch im Preis gegenüber jenen aus Europa höher sind.
Aber: Besonders bei den Clubs, die so oder so in ihrer eigenen Vermarktungsstrategie besonders stark sind und sehr viele flankierende Einnahmen generieren (zum Beispiel die Toronto Maple Leafs, New York Rangers oder Canadiens de Montréal...) wird die Kasse klingeln. Diese Clubs werden mit ihrer Reichweite und dem hohen Affinitätsquotienten in ihren Märkten und Zielgruppen ein Top-Pricing etablieren können. Und die Interessenten stehen mit Sicherheit jetzt schon Schlange um sich gegenseitig zu überbieten.

Die Versuchung ist zu gross...

Die Diskussion um die Trikotwerbung in der NHL ist nicht ganz neu und auch nicht erst seit Pandemieausbruch virulent. Das (Tabu-)Thema wurde immer sehr vorsichtig diskutiert. Aber: In der Saison 2019/20 fehlten viele direkte und indirekte, flankierende Einnahmen in der Wertschöpfungskette innerhalb und ausserhalb der Stadien wegen des geringeren oder gar ganz fehlenden Zuschaueraufkommens. Es mussten neue Wege gefunden werden, die Umsätze einigermassen auf einem hohen Niveau zu halten. Die Umsätze rund um den Spielbetrieb sind zudem nicht nur linear, sondern auch exponentiell, je nach Saisonverläufe der einzelnen Clubs. Gewiss, die Einschaltquoten am TV waren insbesondere in Kanada hoch und die Werbeeinnahmen ebenso. Jedoch wurden auch weniger Partien übertragen und somit auch weniger im TV und in den anderen Medienkanälen vermarktet. Auch gilt nach wie vor der TV-Rechte-Rahmenvertrag (Beiträge fliessen natürlich im Verhältnis der geringeren Anzahl Spiele).
Immerhin: Speziell einige Teams in Kanada haben nach wie vor eine ausgezeichnete Eigenvermarktung und setzen viel über spezielle Media-Verträge mit regionalen TV-Stationen und Verlagsunternehmen und andere Distributoren um.

Disruption oder Tabubruch?

Nun hat man sich neuen Möglichkeiten zugewandt, um Einkünfte zu generieren, die bei uns in Europa schon seit Jahrzehnten üblich sind, aber für die NHL eher in Richtung Paradigmenwechsel gehen: Es fing schon damit an, dass bei den Divisionen für die Pandemie-Saison 2020/21 jeweils ein Hauptsponsor (Titelsponsoring) – so wie die Ligen in Europa – benannt wurde. Dann kam, wie bereits erwähnt, das Helmsponsoring. Tatsache ist: Es findet aktuell eine Disruption statt, die durch die Covid-Pandemie beschleunigt wurde. Der Paradigmenwechsel wurde zu einem Zufallstor, um mittelfristig neues Geld in die Liga spülen. Es ist erwiesen und in der Historie der Marketingentwicklung mehrfach dokumentiert, dass wenn einmal der Spalt in der Tür für neue Werbemassnahmen geöffnet wird, die Massnahmen sich relativ schnell etablieren und selbst die Puristen und Gegner ebendieser sich daran gewöhnen.
Die letzte Saison durchgeführten Alternativmassnahmen waren bereits erfolgreich. Besonders die Einnahmen aus dem Titelsponsoring waren 2020/21 eine gesicherte Quelle. Den Hauptsponsoren Honda, Scotia Mass. Mutual und Discover war die dauerhafte Erwähnung und somit eine imageträchtige Dauerpräsenz in der Berichterstattung beziehungsweise in der Promotion aller Spiele der jeweiligen Division viel Geld wert. Flankierend setzten die neuen Divisionssponsoren auch auf andere Synergien: Die dauernde Erwähnung des gesponserten Divisionsnamens in allen Medien und Kanälen sorgt für dessen virale Verbreitung – ohne zusätzliche Kosten. Der Vorteil: man erreicht fast alle Hockeyinteressierten – egal welcher Zielgruppe zugehörig beziehungsweise egal mit welchem Mediennutzungsverhalten. Marketingstrategisch eine klare Win-Win-Situation für alle Parteien.

** Der Autor ist Inhaber einer Marketingagentur, Marketingdozent und erfahrener Sportvermarkter.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.