Das Ambrì-Fieber und seine Nebenwirkungen

Es war ein bittersüsser Abschied von Scottie Upshall. Nach dem 3:0 gegen Bern feierte Upshall ein letztes Mal mit der Curva Sud und dies, obwohl er nicht spielen konnte. Es war die Verabschiedung eines Spielers, der sich innert weniger Wochen mit dem Club identifiziert hat.

Scottie Upshall zeigte sich nach dem Derbysieg einmal mehr begeistert von der Stimmung in der Valascia.

Bei Ambrì geht es in dieser Saison bezüglich Ausländer drunter und drüber. Angefangen hat alles bereits im letzten Sommer mit dem Abgang von Dominik Kubalik nach Chicago. Als Nachfolger verpflichtete man Robert Sabolic aus der KHL. Der Slowene konnte dem Druck des schweren Erbes nicht standhalten. Dazu verletzte er sich im Oktober schwer.

Brian Flynn wurde im August mit einem kurzfristigen Vertrag ausgestattet, der aber mittlerweile bis zum Saisonende verlängert wurde. Der Kanadier ist in der Schweiz vor allem bekannt von seinem Engagement in der vergangenen Saison beim EV Zug. Dort reichte er nicht mehr, weshalb man in Ambrì die Chance ergriff. Nach anfänglichen Schwierigkeiten ist er mit 30 Punkten in 42 Spielen zu einem Leistungsträger geworden. Mit 42 Partien hat er nur ein Spiel der laufenden Saison verpasst.

Nach der Verletzung von Benjamin Conz hat Paolo Duca einen neuen Torhüter suchen müssen. Er wurde fündig in Dominik Hrachovina. Der Tscheche zeigte keine schlechten Leistungen, aber einfach zu wenig gut für eine Ausländerlizenz. Nachdem Conz wieder einsatzbereit war, wurde der kurzfristige Vertrag mit Hrachovina nicht verlängert.

NHL-Urgestein in Ambrì

Mit Scottie Upshall landete Duca dann einen Coup. Der kanadische NHL-Star, der in der ersten Runde von den Nashville Predators gedraftet wurde, kam als Reaktion auf die Verletzung von Robert Sabolic nach Ambrì. Damit verbrauchte er die sechste Ausländerlizenz der Saison. Um den Sinn oder Unsinn dieser Verpflichtung gingen in der Hockey-Schweiz die Meinungen weit auseinander. Fakt ist, dass Upshall mit über 800 Spielen in der NHL und 36 Jahren eine Menge Erfahrung in die Leventina brachte. Auch wenn er in den Monaten zuvor keine Spielpraxis hatte, brachte er ein bisschen Glamour in die Garderobe. Die Frage war: Wie kann sich Upshall mit dem Team identifizieren? Aus der Glamourwelt NHL in die teilweise spartanische Infrastruktur der Valascia.

Dieses Fragezeichen verwandelte sich schnell in ein Ausrufezeichen. Es beeindruckt, wie schnell er sich identifizierte. Über Social Media, Interviews und der Spielart machte er sich schnell zu einem Publikumsliebling. Er übernahm die DNA von Ambrì ab der ersten Minute. Upshall schien es einfach zu geniessen, dass er noch und wieder Eishockey spielen kann.

Roland Jauch

Mit vier Toren und drei Assists in zwölf Spielen war seine Punkteausbeute zufriedenstellend. Demgegenüber stehen zwei Fakten, die nüchtern betrachtet Kritik an ihm berechtigen. In seinen nicht einmal drei Monaten in der Leventina fiel er zweimal verletzt aus, zuletzt eben auch zum Ende seines Aufenthalts. Drei Monate sind zwar wenig, aber nur zwölf Spiele sind noch weniger. Seine Verletzungsanfälligkeit war im Nachhinein ein grosses Ärgernis. Klar, ein Upshall im Lineup ist für Ambrì eine Bereicherung, aber wenn sich die Linien nie einspielen können, ist es natürlich äusserst suboptimal. Dazu nahm er ziemlich viele Strafen. In nur 12 Spielen kam er auf 51 Strafminuten und rangiert so teamintern auf dem dritten Platz. Neben acht Zweiern, sass er auch einmal fünf Minuten auf der Strafbank. Upshall war schon in der NHL kein Kind von Traurigkeit, aber in der NHL wird eher etwas laufen gelassen, was in der National League eher abgepfiffen wird. An diese Gangart konnte er sich bis zum Ende nicht anpassen. Dies erwies sich meines Erachtens in der Gesamtheit als (zu) grosse Hypothek.

Trotz den Negativpunkten, einen solchen Spieler muss man verpflichten, wenn es finanziell passt. Upshall war eine Bereicherung und hat dem Team definitiv noch mehr Energie verliehen.

Jiri Novotny zurück, Upshall muss gehen

Neben dem Abgang von Kubalik hat die Knieverletzung von Jiri Novotny in der Saisonvorbereitung das Ausländer-Chaos ausgelöst. Der Tscheche hat sich in der letzten Saison auf Anhieb zum Publikumsliebling gemacht und geht voran. Umso bitterer war seine Verletzung. Es ist bekannt, dass Novotny ein riesiger Teamplayer ist und einen grossen Impact in der Garderobe hat. Neben 15 Punkten in der vergangenen Saison fielen auch seine Centerqualitäten auf. Novotny war der mit Abstand beste Bully-Spieler des Teams. Fast 57% der Anspiele konnte er gewinnen, was auch Liga weit ein absoluter Bestwert war.

Zum Zeitpunkt seiner Verletzung Anfangs Juli ging man von einer viermonatigen Pause aus. Effektiv kam er Mitte Januar zurück in den Ligabetrieb. Zurück im Training war er schon über zwei Monate, aber von den Ärzten bekam er lange das «Go» nicht. Nun hat er es endlich und spielt, auch wenn man sieht, dass die Spritzigkeit noch etwas fehlt, die gewohnt wichtige Rolle. In vier Spielen hat er zwei Assists erzielt und 71% seiner Bullys gewonnen. Klar hat er erst 89 Bullys bestritten, aber dennoch sagt es ziemlich viel aus, wie wichtig er ist. Novotny war schon immer nah am Team dran, aber nun könnte er im Kampf um die Playoffs auch auf dem Eis von enormer Wichtigkeit sein.

Da er nun wieder eingesetzt werden kann, wird der Vertrag von Upshall nicht weiter verlängert. Aufgrund der physischen Probleme des Kanadiers macht dies auch Sinn. Dazu steht mit Robert Sabolic ein weiterer Ausländer auf der Lohnliste, der aber momentan überzählig ist und daran wird sich auch nichts ändern, falls sich niemand verletzt.

Neben Verteidiger Nick Plastino ist Matt D`Agostini die grosse Konstante unter den Ausländern. Ihm persönlich hat der Abgang von Dominik Kubalik gutgetan. Er geht voran und hat eine enorme Strahlkraft, nicht nur wegen dem „Gelbhelm“. Seine ganz grosse Stärke ist der Abschluss. Mit bereits 17 Toren und 19 Assists ist er klarer Topskorer des Teams und dürfte aller Voraussicht nach die beste Regular Season im Dress der Biancoblù spielen. Er ist nicht der grosse Techniker, hat aber eine ungemeine Spielübersicht, leistet sehr wertvolle Defensivarbeit und hat eben den sackstarken Schuss. „Dags“ übernimmt etwas die Rolle, die letzte Saison Kubalik übernahm. Zusammen mit Gregory Hofmann ist er mit zehn Toren der beste Torschütze der Liga im Powerplay. Gleiches gilt in Unterzahl. Ambrì ist mit sieben Shorthandern mit dem EV Zug das beste Team der Liga. Zwei der sieben Tore gehen auf das Konto des Kanadiers, was ebenfalls Ligabestwert mit einigen anderen Spielern ist.

Wie weiter Paolo Duca?

Die Verträge aller Ausländer, inklusive dem von Robert Sabolic, laufen nach der aktuellen Saison aus. Bisher steht Ambrì ohne einzigen Ausländer für nächste Saison da. Kennt man die Spieler bei Ambrì etwas, weiss man, dass die Ausländer im fortgeschrittenen Alter sind. Novotny ist 36 Jahre alt, D’Agostini und Plastino 33 und Flynn und Sabolic 31. Es ist bekannt, dass Novotny unheimlich gerne bleiben würde. Bekommt er keinen neuen Vertrag, ist es unwahrscheinlich, dass er auf diesem hohen Niveau einen neuen Club findet. Bei D’Agostini munkelt man, dass er ein Angebot im Front Office einer NHL-Franchise hat. Ist dies so, wäre es für ihn schwer, es auszuschlagen. Für Ambrì wäre es ein harter Schlag ihn zu verlieren, auch wenn man es ihm nicht verübeln könnte. Dennoch, in dieser Form seine Karriere zu beenden, wäre fast schade. Falls man ihn halten kann, sollte man es unbedingt tun. Plastino spielt meiner Meinung nach eine unauffällige, aber solide Saison. In Ambrì träumen viele von der Rückkehr von Maxim Noreau, aber erstens hat er noch einen Vertrag für eine Saison beim ZSC und zweitens ist es ohnehin nicht überaus wahrscheinlich. Aufgrund des ausgetrockneten Marktes wäre es wohl nicht verkehrt „Plasty“ für seine vierte Saison in Ambrì zu halten.

Flynn hat sich zu einem heimlichen Liebling gemausert und scheint die Spielweise Ambrìs langsam aber sicher anzunehmen. Der Wechsel von Zug nach Ambrì gehört auch zu den radikaleren in der Schweiz. Daher musste man ihm im Nachhinein wohl etwas Schonfrist zugestehen. Danach ist er ein sicherer Wert geworden, auch am Bullypunkt. Mit fast 51% gewonnen Anspielen ist er der einzige regelmässig-spielende Center, der mehr als die Hälfte der Bullys gewinnen konnte. Will Flynn in Ambrì bleiben, würde man wohl auch bei ihm gut daran tun, ihm einen neuen Vertrag zu geben.

Sabolic ist zweifellos ein begnadeter Hockeyspieler und hat es in den Händen und Beinen. Ambrì hat ihn sicherlich mit guten Gründen vor einem Jahr geholt. Mit den Vorschusslorbeeren und Erwartungen kam er aber zu keinem Zeitpunkt zurecht. Dazu kommen die Verletzungen, die ihn immer wieder zurückgeworfen haben. Würde man ihm einen neuen Vertrag geben, wäre es eine Überraschung. Ambrì kann es nicht riskieren, einen Ausländer als durchschnittlichen Spieler im Lineup zu haben.

Generell wird in Ambrì enorm viel über die Ausländerpositionen debattiert und in den letzten Saisons hat man sich, ausgenommen Kubalik, sehr unzufrieden gezeigt. Viele Stimmen sind im Verlaufe der Saison mehrheitlich verstummt. Zum jetzigen Zeitpunkt haben die Ausländer 40 Tore erzielt. Letzte Saison waren es mit Kubalik 54 Treffer der ausländischen Spieler, was 39.1% aller erzielten Tore entsprach. Daher sind die momentanen 37.3% im Anbetracht des Abgangs von Kubalik sehr respektabel. Mit diesem Wert liegen sie auch im Range der vergangenen Saisons. Der Ausreisser war die Playoff-Saison 2013/14, als die Ausländer über 41% aller Tore erzielten. Die Ausländer liefern, bedenkt man die enorm vielen Linienwechsel, über weite Strecken. Dazu haben sie noch sieben Spiele Zeit, um diese Quote zu steigern, was durchaus passieren könnte, wenn sie sich nun in der Linie finden können.

Meiner Ansicht nach spricht spielerisch momentan wenig dagegen, aus Sicht des Vereins zu versuchen, mit den jetzigen Import-Spielern weiterzufahren. Was in den Überlegungen von Duca sicherlich mitspielen wird, ist der Altersfaktor. Ohne in irgend einer Weise despektierlich zu klingen, ist das Verletzungsrisiko bei Spielern 30+ einfach erhöhter. Auf der anderen Seite dürfte die Auswahl sehr begrenzt sein. Es wird auf jeden Fall spannend zu sehen sein, wie es bei diesem Thema weitergeht.

Das Ambrì-Fieber und seine Nebenwirkungen

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