The Checking Line

Die Eishockey-Schweiz rätselt auch nach dem Eishockey-WM-Turnier 2023 und der Schmach von Riga, wie das Viertelfinal-Debakel passieren konnte. Dabei ging es bei der Aufarbeitung nicht um eine fehlende Wertschätzung des Gegners. Nein, das Muster, welches sich seit vier Jahren wiederholt, gibt zu denken. Für viele Schweizer war diese Pleite „gefühlt“ schlimmer, als wenn man die Vorrunde nicht überstanden hätte. Ein Kommentar aus Schweizer Sicht, welcher in der Deutschen Eishockey-Fachpublikation EishockeyNews publiziert wurde.

Die grosse Schweizer Eishockey-Fangemeinde rätselt noch immer über den Ausgang und im Besonderen über die Leistung der Eisgenossen im WM-Viertelfinal gegen Deutschland. Der Perplexität wich Unverständnis und teilweise sogar Wut. Der Shitstorm in den Medien und bei der Eishockey-Community war heftiger denn je. Hatte doch die überragende Vorrunde eh schon hohe Erwartungen genährt, da speziell in spielerischer Hinsicht, aber auch bezüglich mentaler Stabilität des Teams alles auf einen Schweizer Durchmarsch hinzudeuten schien.

Der „Deutschland-Komplex“ ist nicht das Problem

Nicht, dass man im neuen Schweizer Selbstverständnis eine Halbfinal-Qualifikation voraussetzt und besonders gegen Deutschland diese eigentlich erwartet. Nein, es war der Wiederholungsfall, der die Schweizer Fans erzürnte. Und zwar auch bei der Analyse des Spiels. Deutschland spielte, wie ein Jahr zuvor die USA im Viertelfinale gegen die zuvor überragenden Schweizer Gruppensieger, wie man es erwarten konnte. Es gab keine taktischen Überraschungen. Dennoch hatte die Schweizer Equipe erneut keine Lösungen, um der Spieldynamik entgegen zu wirken. Obwohl man in der Vorrunde genau diese Stärke bewies und auf alles eine Antwort hatte. Es war also so wie auch schon in Jahren zuvor. Wie 2022, als man ebenfalls als Gruppensieger ein Déjà-Vu erlebte. Die ganze Diskussion um die Mentalität und den vermeintlichen „Deutschland-Komplex“ sowie die extrem hohe Erwartungshaltung spielte sicherlich eine Rolle. Es war aber auch zu beobachten, wie die Schweizer Mannschaft zwar hochmotiviert und konzentriert ans Werk ging, aber den Spielwitz und vor allem die Spielfreude nicht spürbar war. Aus Insiderkreisen weiss man mittlerweile, dass die Anspannung – oder sagen wir mal die Konzentration - vor dem Spiel gross war. Aber vielleicht noch dominanter wohl auch eine gewisse Nervosität und ein Riesenrespekt davor, einmal mehr ausgerechnet im Viertelfinal nicht normal auf Touren zu kommen und sein Spiel nicht durchziehen zu können. War die dominierende Grundhaltung das Motto „das hier dürfen wir keinesfalls verbocken“? Interessant auch folgende Beobachtungen: Während des ganzen Turniers lachten die Spieler auf der Bank während den Partien und man spürte die Energie. Dies war im Viertelfinalspiel kaum zu spüren, eher mehr eine hohe Anspannung. Was zudem auffällt: Weder die Spieler noch der Chefcoach, die Expertinnen und Experten und auch nicht die Funktionäre hatten noch Tage nach dem Turnier-Aus eine wirklich konkrete Erklärung für die Niederlage. Das spricht Bände. DEB-Captain Moritz Müller meinte in einem TV-Interview, dass die Schweizer sich zu viel Druck auferlegen würden und man sich als spielerisch haushoch überlegen fühle gegenüber den Deutschen. Hier stimmt jedoch nur der erste Teilsatz. Die Wertschätzung und der Respekt vor dem Gegner waren durchaus vorhanden.

Was bleibt ist der letzte Eindruck. Und zwar jener einer verpassten, fast einmaligen Chance. Der neidische Blick auf Deutschland zeigt, was möglich gewesen wäre und die Schweizer Fachleute wie auch viele internationale Beobachter sahen die Schweiz mit Fortdauer des Turniers nicht nur als Geheimfavoriten, sondern als einer der Top-Titelkandidaten. Selten zuvor war das WM-Turnier so ausgeglichen und die Schweizer Equipe so ausgewogen und spielerisch stark besetzt. Bei den beiden Schweizer Finalteilnahmen 2013 und 2018 waren die Titelkandidaten fast allesamt mit einem nominell stärkeren Kader als heuer anwesend.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

The Checking Line

Kontrovers und manchmal auch provokativ - "The Checking Line" thematisiert heisse Eisen und Dinge, die sich hinter den Kulissen des Schweizer Eishockeys abspielen.