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NHL Observer

Die Bedeutung von Fan Jams, Public Viewings und Watch Parties für die Playoff-Euphorie in Städten ist grösser als man denkt. Sie sind weit mehr als Unterhaltung – sie sind urbane Rituale, die Emotion und Identität verbinden. In Playoff-Zeiten multiplizieren sie die Euphorie, stärken soziale Bindungen und transformieren eine Stadt temporär zur Hochburg kollektiver Emotionen.

Die Teilnahme an Public Viewings oder sogenannten Fan Jams erzeugt ein starkes Gefühl der kollektiven Zugehörigkeit. Wissenschaftlich stützt sich das auf die Social Identity Theory (Tajfel & Turner, 1979), die besagt, dass Individuen durch Gruppenzugehörigkeit ihr Selbstbild stärken. 

Forschungsergebnisse aus der Neuropsychologie zeigen, dass gemeinsames Jubeln eine Synchronisierung neuronaler Belohnungssysteme bewirkt. Der Ausstoss von Dopamin, Endorphinen und Oxytocin wird dabei durch die Masse verstärkt. Die psychologische Wirkung ist messbar: Menschen, die gemeinsam Sport schauen, erleben nachweislich intensivere Emotionen als bei individueller Rezeption.

Wie ein kollektiver Herzschlag

Medienwissenschaftlich gesehen erzeugen Fan Jams und Watch Parties reproduzierbare, virale Bilder. Diese sind stark anschlussfähig für Social Media und TV. Die Szenen steigern die Sichtbarkeit des Teams und der Stadt. Psychologen (z. B. Zillmann, 2003) haben gezeigt, dass Fans durch sogenannte affektive Verarbeitung in Gruppen besser mit Enttäuschungen umgehen können. Bei Niederlagen helfen kollektive Events, Frust zu kanalisieren. Bei Siegen steigert sich der positive emotionale Output. 

Aber auch eine wirtschaftliche Wertschöpfung lässt sich eruieren. Watch Parties und Fan Jams bieten Städten eine Gelegenheit zur Identitätsbildung und Inszenierung. Plätze und Locations werden zu temporären Bühnen urbaner Kultur. Studien zur Eventisierung urbaner Räume (z. B. Frey, 2000) zeigen, dass solche Veranstaltungen emotionale Bindung schaffen und sich positiv auf das Stadtimage auswirken – insbesondere bei jüngeren Zielgruppen. Ökonomisch gesehen generieren grosse Public-Viewing-Events Umsätze in Gastronomie, Transport, Merchandise und Medien. In Montreal können laut lokalen Tourismusbehörden Playoff-Watch-Parties mehr als eine  Million CAD pro Spiel an wirtschaftlicher Wertschöpfung bringen.

Eventisierung sorgt für einen Multiplikatoreneffekt

Durch die Eventisierung eines Sportereignisses wird nicht nur eine Eventkultur gestärkt – auch das Image der Stadt profitiert. Montreal, eine Stadt mit einem ausgeprägten kulturellen Selbstbewusstsein, nutzt diese Formate gezielt zur Imagepflege. Bei offiziellen Watch-Parties der Canadiens entsteht ein Markenraum, in dem Sport, Unterhaltung und Urbanität verschmelzen.

Während der NHL-Playoffs 2025 in Montreal erfreuten sich die offiziellen Fan Jams und Watch Parties grosser Beliebtheit und zogen zahlreiche Fans an. Besonders beim Jam vor dem Bell Centre: Diese grösste Outdoor-Watch-Party der Stadt begann jeweils drei Stunden vor Spielbeginn. Die Veranstaltungen umfassten Live-Musik, DJs, temporäre Tattoos, einen mobilen Barbershop und Auftritte des Maskottchens Youppi!. Man vermutet, dass dieser Fan Jam der grösste und menschenreichste war von allen während den Playoffs 2025. Auch im Espace 1909, einer 17.000 Quadratfuss grossen Eventlocation neben dem Bell Centre wurde während den drei Auswärtspartien der „Habs“ gefeiert. Diese offizielle Watch-Party, organisiert von den Canadiens, war zwar kostenpflichtig – aber innerhalb von Minuten jeweils ausverkauft. Das Espace 1909 bot nicht nur eine Live-Übertragung des Spiels auf Dutzenden von Screens und dem grössten Indoor-Bildschirm Kanadas, sondern auch ein umfassendes Unterhaltungsprogramm. Der Abend wurde durch die emotionale Moderation von Michel Kunta, dem bekannten Entertainer und langjährigen Host im Centre Bell, bereichert. Er interagierte mit den Fans und sorgte für ausgelassene Stimmung. An seiner Seite das beliebte Maskottchen Youppi! mit seinen typischen Spässen und Tanzeinlagen. Der Event wurde gezielt für Insta-Reels und TikToks genutzt und hatte einen grossen Multiplikatoreffekt. Und auch im Casino de Montréal kochte das Playoff-Fieber. Die kostenlosen Watch-Parties mit DJ und Preisen im Wert von 10.000 CAD erfreuten sich vieler Gäste. Die Kapazität war auf 600 Personen begrenzt. 

Für viele junge Canadiens-Fans waren es zudem die ersten Playoff-Erlebnisse, die sie als Jugendliche voll ausleben konnten. Letztmals 2021 waren die Montréal Canadiens in den Playoffs. Und sie schafften es damals bis ins Stanley-Cup-Finale. Die Euphorie war zwar riesig – aber mit einem grossen Makel: Wegen der strengen Covid-Beschränkungen in Kanada und speziell in der Provinz Québec fühlten sich die Playoffs vor (fast) leeren Rängen nicht so an wie üblich. Die Hockey-Parties fanden – auch hier unter Beschränkungen - draussen statt. Wir haben an dieser Stelle bereits darüber berichtet: https://"swisshockeynews.ch"/de/shb/blogs/nhl-observer/hungrig-nach-playoff-euphorie 

„Es fühlt sich an, als ob die ganze Stadt hinter dem Team steht.“

In jenen kanadischen Städten, deren Teams in Playoff-Runde 2 noch dabei waren (Toronto, Winnipeg und Edmonton) herrscht ebenfalls Ausnahmezustand und an den Fan-Events versammeln sich Zehntausende. Medien in Winnipeg berichten: „Es fühlt sich an, als ob die ganze Stadt hinter dem Team steht. Wir träumen gemeinsam von unserem ersten Titel.“ Edmonton kennt das Gefühl erfolgreicher Playoffs. 2006 zog man nach 16 Jahren erstmals wieder in einen Stanley-Cup-Final (1990 letzter der vier Stanley-Cup-Siege nach fünf Finalteilnahmen in Folge). Dieser ging auf dramatische Weise nach 7 Partien gegen Carolina verloren. 2025 schaffte man dieses Kunststück erneut. Und wieder gab es in Spiel 7 das traumatische Erlebnis.  In den sozialen Medien trendete der Hashtag #BringTheCupHome. Fans sprechen von generationsübergreifender Euphorie. „Ich war elf Jahre alt, als die Oilers ’90 gewannen“, sagt ein Fan gegenüber CBC Calgary. „Jetzt will ich, dass mein Sohn dasselbe erlebt.“

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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