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NHL Observer

Viele NHL-Keeper haben Geschichte geschrieben, sind in der Hall of Fame aufgenommen worden, haben einen Goaltending-Stil geprägt, hatten einen besonderen Charakter beziehungsweise Aura und sportliche Höchstleistungen erbracht. Aber einer war wohl die grosse Ikone unter den NHL-Torhütern: Ken Dryden. 

Es gibt Bilder, die zu Ikonen einer ganzen Sportart werden. Wer kennt nicht jenes von Bobby Orr im Flug in der Luft hängend nach seinem entscheidenden Overtime-Tor zum Stanley-Cup-Sieg 1970? Auch von Ken Dryden gibt es so eine ikonische Aufnahme: Es ist die Szene, in der er während einer Spielunterbrechung gelassen in seinem Tor steht, den Schläger locker vor sich abgestützt, das Kinn leicht auf der Oberhand ruhend, seine ebenso ikonischen Goaliemaske tragend. Diese Pose wurde zu mehr als eine Momentaufnahme. Sie wurde zur Metapher für einen Torhüter, der Eishockey nicht als blosses Spektakel, sondern als intellektuelle Herausforderung begriff.

Pionier der Goaltending-Technik

Nun ist Ken Dryden im Alter von 78 Jahren verstorben. Und es hat die Eishockey-Welt bewegt, denn Dryden war nicht nur ein normaler Top-Goalie und Hall-of-Famer. In einer Ära, in der viele Goalies eher von Reflexen als von Strategie lebten, verkörperte er eine fast stoische Kontrolle. Vielleicht war es genau diese Ruhe, die seine Gegenspieler zur Verzweiflung brachte. Er definierte sein Spiel aus einer strategischen, technischen Sicht. Er war ein Pionier im Bereich der Goaltending-Technik. Dryden war mit fast 1,93m für seine Zeit ungewöhnlich gross. Anstatt sich hektisch zu bewegen oder tief in die Hocke zu gehen, nutzte er seine Statur bewusst und blieb lange aufrecht, „standing tall“, und zwang die Schützen, den perfekten Schuss zu suchen. Diese Geduld und Ruhe im Tor waren neu – viele Torhüter seiner Ära fielen (zu) früh in die Butterfly-Position.

Was ihn also auszeichnete, war die Kombination aus Positionsspiel und Reflexe. Er spielte sowohl auf Instinkt, konnte das Spiel aber wie kein Zweiter lesen und Situationen antizipieren. Dryden studierte die Spielzüge. Damit machte er das Torwartspiel kontrollierter und analytischer. Mit seiner Reichweite deckte er das Tor anders ab als kleinere Goalies. Er nutzte Arme und Schläger nicht nur zum Abwehren, sondern auch zur Raumbegrenzung. Angreifer hatten das Gefühl, gegen einen „vierstöckigen Goalie“ (Zitat Phil Esposito) zu spielen. Seine berühmte Gelassenheit – das „Abstützen mit dem Schläger“ – war Ausdruck dieser mentalen Dominanz.

Visionär: Die Pretzel-Maske

Was ihn ebenfalls zum Pionier machte: die Maske. Während noch in den 1960er-Jahren viele Torhüter ohne Gesichtsschutz spielten, trug er bereits an der Cornell University eine „pretzel-style mask“, ein eigenwillig geformtes Stück Fiberglas, das später zu einem Markenzeichen wurde. Es war mehr als ein Schutz – es war ein Symbol für den Wandel des Spiels. Dryden, der nachdenkliche Student, verstand: Wer in diesem Sport überleben will, muss auch seinen Körper schützen.

Neun Saisons – sechs Stanley-Cup-Siege

Sechs Stanley-Cup-Siege errang er mit den Montréal Canadiens zwischen 1971 und 1979. So auch die Calder Trophy als Rookie des Jahres. Danach die Conn Smythe Trophy, weil er gleich in seinem ersten Playoff-Durchmarsch zum wertvollsten Spieler gekürt wurde. Fünf Mal gewann er die Vezina Trophy als besten Goalie der NHL. Doch vielleicht beeindruckender als die Statistik ist die Kürze seiner Karriere: Nicht einmal zehn Saisons spielte in der NHL, bevor er mit 31 Jahren die Schlittschuhe an den Nagel hängte. In nur neun Jahren prägte er eine gesamte Goalie-Generation und auch die darauffolgenden.

Athlet, Jurist, Intellektueller, später Autor und Politiker

Warum so früh? Weil Dryden mehr war als ein Athlet. Er war Jurist, Intellektueller, später Autor und Politiker. Schon während seiner aktiven Zeit war er ein Mann, der Bücher las, wo andere den Golfplatz suchten. „I wasn’t a hockey player. I was somebody who played hockey“, sagte er einmal. Es ist einer dieser Sätze, die einen ganzen Lebensweg erklären. Für Dryden war Eishockey eben nur ein Teil seiner Identität. Mit „The Game“ schrieb er eines der bedeutendsten Sportbücher in Nordamerika: eine Mischung aus Autobiografie, Gesellschaftsdiagnose und Liebeserklärung an den Sport. Bis heute gilt es als Referenzwerk, nicht nur für Eishockey-Fans, sondern für alle, die verstehen wollen, wie Sport unser Leben prägt. Von 2004 bis 2011 sass er im kanadischen Parlament, zeitweise als Minister für soziale Entwicklung. Auch hier bewies er, was ihn immer auszeichnete: die Fähigkeit, zuzuhören, Zusammenhänge zu sehen und Haltung zu bewahren.

„I wasn’t a hockey player. I was somebody who played hockey“

Für Montreal war Dryden weit mehr als nur ein Torhüter. Er wurde zum Sinnbild einer Epoche, in der die Canadiens – sogar noch mehr als heute - nicht einfach ein Team, sondern eine Institution waren. Seine stoische Ruhe hinter der Maske gab einer ganzen Stadt das Gefühl von Sicherheit, von Beständigkeit – mitten in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs in Québec, als Debatten über Identität, Sprache und Politik tobten. In dieser Zeit verkörperte Dryden die „Canadiens Dynasty“ der 1970er-Jahre, ein Team, das mit Eleganz und Dominanz spielte – und das Gefühl vermittelte, dass Erfolg nicht nur ein Zufall, sondern ein Versprechen war.

Auch für die NHL war Dryden ein Geschenk. Er gab dem Torhüterspiel eine neue Dimension, weg vom reinen Reaktionssport hin zu einer intellektuellen Position. Seine Präsenz, seine Ausstrahlung, seine Analysen setzten Massstäbe, die noch heute gelten. Viele junge Goalies sahen in ihm nicht nur ein Vorbild, sondern ein Leitbild: Man durfte gross denken, man durfte Fragen stellen, man durfte Sport und Gesellschaft zusammendenken. In einer Liga, die oft auf Härte und Spektakel setzte, brachte Dryden eine andere Form von Grösse ein – leise, souverän, aber unübersehbar.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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